MainPost Sonderbeilage „4 WÄNDE – Bauen & Wohnen in Mainfranken“ 01/2015 – Spiel mit Weite und Enge

Neubau statt Modernisieren. Dieses Haus ließ den Bauherren den gewünschten Platz für eine moderne und individuelle Gestaltung.

von SANDRA HÄUSLEIN; Ein Bericht in der MainPost Sonderbeilage “4 WÄNDE – Bauen & Wohnen in Mainfranken”  1/2015

Altort oder Neubaugebiet? Vor dieser Frage stehen viele Bauherren. Zwar soll der Altort gestärkt und der Wohnraum verdichtet werden, damit auch zukünftig die Belebung sichergestellt ist, dennoch entscheiden sich Bauherren oft auch bewusst für ein Grundstück im nahe gelegenen Neubaugebiet.

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Die Gründe sind nachvollziehbar: größere Grundstücke, keine Einschränkungen durch enge verwinkelte Bauverhältnisse, oft sonnige und ruhige Lagen sowie genügend Lichteinstrahlung. So wundert es nicht, dass auch Besitzer eines eigenen Hauses im Altort auf einen Umbau verzichten und den Neubau im ausgewiesenen Ortsrandgebiet vorziehen. „Mit dem Neubau hatten wir viel mehr Möglichkeiten, das Haus modern und nach unseren Vorstellungen zu gestalten“, sagt die Bauherrin.

So entstand als Herzstück des geradlinigen und zurückhaltenden Entwurfs der große Wohnraum mit Anschluss an eine offene Küche. „Wir erleben diese offene Wohnform nun ganz anders, weil wir bisher nur die kleinen Räume unseres Altbaus kannten“, erklärt die Bauherrin weiter. Die Raumaufteilung ist klassisch. Im Erdgeschoss findet das Familienleben in den offenen Wohnräumen statt. Im Obergeschoss sind die privateren Schlaf-und Kinderzimmer der fünfköpfigen Familie untergebracht. Auch die Räume im Kellergeschoss wurden in Wohnraumqualität ausgebaut. Einen Allzweckhobbyraum nutzen die Kinder dort als Musik-, Spiel- und Fernsehzimmer.

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Den Lichteinfall lösten die Architekten Erik Reitter und Hendrik Kircher besonders geschickt. Ein raumhoher Lichtschacht als Oberlicht ausgebaut, lenkt das Tageslicht von der Westseite des Gartens in den Kellerraum. „Das schräg einfallende Licht hat fast schon einen sakralen Charakter“, sagt Kircher. Im Erdgeschoss ist ein innen liegender Block dem Eingangsbereich zugeordnet und wird als begehbare Garderobe und Schuhschrank in einem genutzt.

Platzraubende Garderobenhaken, Schuhregale und Jacken sind somit verstaut und der Eingangsbereich führt geradlinig und ruhig in die Wohnräumeüber. Um auch den geschlossenen Räumen eine Durchlässigkeit zu geben und diese so dem offenen Wohncharakter zuzuordnen, erhielten die Innentüren ein feststehendes Glaselement. Dieses löst die Türen optisch von den geschlossenen Wänden ab und die offene, weite Atmosphäre wird betont. Ebenso sorgt die Glaswand im Treppenhaus, die vom Erdgeschoss ins Kellergeschoss führt, für eine innere Transparenz.

Das Obergeschoss wurde im Treppenhaus bis in den Giebel geöffnet und verstärkt diese Transparenz ebenfalls. „Im ganzen Haus haben wir so immer wieder ein Wechselspiel zwischen Enge und Weite. Das sorgt für Spannung und macht alle Ebenen auf ihre Weise erlebbar“, sagt Kircher. Im Keller-, Erd- und Obergeschoss gibt es je ein kleines Bad. Die drei Nassräume sind übereinander angeordnet und vom Grundriss ähnlich ausgestattet. In jedem Bad gibt es ein Wandelement, gefliest mit kleinen, bunten Mosaikfliesen.

So entstand im Keller das blaue Bad, im Erdgeschoss das orangefarbene Gästebad und im Obergeschoss das grüne Kinderbad. Generell spielte in allen Räumen die Farbgestaltung eine wichtige Rolle für die Bauherrschaft. Gemeinsam mit der Farbberaterin Uschi Ebner und den Architekten entwickelten die Bauherren ein Farbkonzept für das gesamte Haus. Umgesetzt hat dieses schließlich Uschi Ebner, die neben der konzeptionellen Farbberatung auch eine Werkstatt für Innenraumgestaltung betreibt. Mindestens eine Wand akzentuiert nun mit ihrer Farbgestaltung den jeweiligen Raum.

Die Gestaltung der bunten, individuellen Kinderzimmer übernahmen die Kinder selbst mit Hilfe der Farbberaterin. Alle drei Kinderzimmer erhielten zudem im Spitzboden eine Galerie als Schlafkoje. Diese, mit Treppe und Geländer sowie alle Einbauschränke im Haus entwickelte die Bauherrschaft gemeinsam mit den Architekten und dem beauftragten Schreiner. Für ein angenehmes Raumklima sorgt eine Fußbodenheizung, die mittels einer Erdwärmepumpe versorgt wird. Zusätzlich gibt es im Wohnraum einen Kaminofen. „Eigentlich brauchen wir kaum eine Heizung. Das Haus wurde so angeordnet und geplant, dass wir die natürliche Sonneneinstrahlung nutzen können“, sagt der Bauherr. So öffnet sich die Fassade des Gebäudes mit großen Fensterflächen zum Süden, Richtung Garten.

„Wir erleben diese offene Wohnform nun ganz anders, weil wir bisher nur kleine Räume kannten.“ Bauherrin

Im Obergeschoss ist ein Balkon vorgelagert, der die hochstehende Sonne im Sommer vor dem Eindringen ins Erdgeschoss abschirmt. Im Winter steht die Sonne wesentlich tiefer, so dass die Sonneneinstrahlung unter der Auskragung des Balkons durch die Fenster dringt und den Wohnraum aufheizt. Aufgrund dieses Planungskonzeptes ist auch ein technischer Sonnenschutz, wie Raffstores unnötig. Im Obergeschoss dienen einfache Holzschiebeläden als Sonnenschutz und zur Abdunkelung in der Nacht.

Während zum Süden große bodentiefe Fenster die Fassade öffnen, sorgen zur Nordseite liegende Fensterformate für Privatsphäre. Zwei Flachdachkuben flankieren den Eingangsbereich. So entsteht ein kleiner Eingangshof. Eine Wandscheibe aus Sichtbeton leitet von der öffentlichen Straße über den halböffentlichen Eingangshof über zum privaten Bereich. Der eine Kubus ist losgelöst vom Gebäude und beinhaltet die Garage. Ein Gang zwischen den beiden Gebäuden verbindet die Straßenseite mit der Gartenseite des Hauses. Der zweite Kubus schiebt sich aus der sonst geradlinigen rechteckigen Gebäudeform hervor. Darin ist die Küche untergebracht.

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Die Garage sowie der kubische Anbau sind mit Holzlamellen verkleidet und bilden zusammen mit den Holzschiebeläden der Fenstertüren im Obergeschoss einen warmen Kontrast zur nüchternen, weißen Putzfassade.

Beide Flachdächer der Kuben sind begrünt, sodass ein natürlicher, grüner Ausblick vom Obergeschoss aus gewahrt bleibt. Generell ist die Technik im Haus auf ein Minimum beschränkt. „Was wir selbst mechanisch bedienen können, wollen wir auch selbst machen. So kann schon keine aufwendige Elektronik kaputtgehen“, sagt der Bauherr. Um jedoch ein optimales Wohnraumklima zu schaffen, ist das Haus mit klassischen Ziegelsteinen gemauert und der Innenraum mit Kalkputz verputzt sowie mit Kalkfarbe gestrichen. Die Materialien sind diffusionsoffen und nehmen Feuchtigkeit gut auf.

Dennoch, ein technische Highlight ist noch zu erwähnen: die Abschirmung.

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Die Innenräume sind elektrofeldarm, d. h. schädliche Strahlungen werden abgeschirmt. Im Innenbereich fanden neben einer Netzfreischaltung abgeschirmte Elektrokabel Verwendung. Um äußere Strahlungseinflüsse wie Mobilfunkt, W-Lan etc. zu minimieren, erhielt die Fassade unter Putz ein Abschirmgewebe, im Dachbereich hat die Unterspannbahn abschirmende Eigenschaften und die Fenster mit Wärmeschutzverglasung und äußerer Aluminiumschale erfüllen ebenfalls eine Abschirmung. Die Messungen und Beratung erfolgten durch den Baubiologen Dr. Dietrich Moldan aus Iphofen. „Auch bei der Abschirmung hat der Neubau große Vorteile, denn so konnten all diese Maßnahmen von vornherein leicht in die Planung integriert werden“, sagt die Bauherrin.

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Auszug aus “4 Wände Bauen & Wohnen in Mainfranken” Ausgabe 1 / 2015
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